BGH zum Anspruch auf rechtliches Gehör bei ärztlichen Behandlungsfehlern

Der Bundesgerichtshof (Urteil VI ZR 529/16 vom 26.09.2017) hat sich mit der Frage beschäftigt, ob die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger habe einen Behandlungsfehler in Form fehlerhafter Lagerung nicht bewiesen, auf einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG beruhe.

I. Sachverhalt

Der 1955 geborene Kläger wurde 2011 wegen eines Prostata-Karzinoms im Krankenhaus der Beklagten unter Verwendung eines Hochfrequenzgeräts (Elektrokauter) von dem zweiten Beklagten operiert. Am Folgetag wurde eine schmerzhafte Rötung mit Blasenbildung auf beiden Gesäßhälften festgestellt. Ein Konsil der Verbrennungsabteilung des Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums B diagnostizierte eine Verbrennung im Stadium 2a mit einer Ausdehnung von 20 cm x 10 cm. Es ergab sich der Verdacht auf eine entzündliche Komplikation, woraufhin ein Ödem der Gesäß- und Rückenmuskulatur sowie ein Anstieg der Entzündungsparameter festgestellt wurde, was auf eine sog. nekrotisierende Fasziitis schließen ließ und der Kläger im Universitätsklinikum B notoperiert wurde, wobei 2/3 des Musculus gluteus maximus rechts, bei einer Revisionsoperation weiteres entzündetes Muskel- und Bindegewebe entfernt und ein Anus praeter aus Hygienegründen vorübergehend angelegt wurde. Der Kläger beanstandet einerseits, seine Lagerung und/oder die Durchführung der ersten Operation sei fehlerhaft gewesen, da eine solche Läsion bei ordnungsgemäßer Lagerung und Anwendung des Geräts nicht möglich sei, und andererseits, dass er über das Risiko einer intraoperativen Verbrennung nicht aufgeklärt worden sei. Der Kläger nimmt die Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung und unzureichender Aufklärung auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.

II. Landgericht Bochum

Das LG Bochum wies die Klage am 27.03.2012 ab, da sie nicht begründet sei. Es stelle einen schicksalhaften Verlauf dar und beruhe gerade nicht auf Behandlungsfehlern, dass es im Rahmen einer Prostata-Operation, bei der das absolute Standardverfahren angewandt wurde, zu Verbrennungen gekommen sei. Trotz Berücksichtigung aller Sicherheitsvorkehrungen sei nicht auszuschließen, dass sich während der Operation durch kleine Ausscheidungen oder Schwitzen des Patienten Flüssigkeitssammlungen unter dem Patienten bilden, die zu erheblichen Verbrennungen führen können, wenn über die Flüssigkeitssammlung ein Kontakt zum leitfähigen Operationstisch hergestellt werde, was der Operateur nach dem Abdecken des Operationstisches nicht mehr kontrollieren könne. Eine Aufklärung über monopolare und bipolare Techniken sei bei der Anwendung von Hochfrequent-Chirurgie-Geräten weder sinnvoll noch üblich. (LG Bochum, Urteil vom 27. März 2012 – 6 O 311/11)

III. Oberlandesgericht Hamm

Das OLG Hamm wies die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Bochum am 04.11.2016 zurück und ließ die Revision nicht zu. Ein Behandlungsfehler lasse sich nicht feststellen. Insbesondere stehe keine fehlerhafte Lagerung fest, da der Sachverständige die Vorgehensweise als das absolute Standardverfahren beschrieben habe. Es genüge diesbezüglich, die Lagerung technisch schlagwortartig zu beschreiben, sodass für den Fachmann erkennbar werde, nach welcher Methode gelagert und operiert worden sei, wodurch eine ordnungsgemäße Vorgehensweise dargelegt werden könne. Außerdem habe der Operateur nach dem sterilen Abdecken des Operationsfeldes keine Chance, Feuchtigkeitsansammlung unter der Abdeckung zu bemerken, sodass es sich insoweit um einen schicksalhaften und nicht voll beherrschbaren Ablauf handele. Da neben Behandlungsfehlern auch nicht beherrschbare Umstände für die Schädigung in Betracht kämen, liege kein voll beherrschbarer Bereich mit der Folge von Beweiserleichterungen vor. Da Schadensursache und Fehlerbedingtheit ungeklärt seien, könnten die Beeinträchtigungen auch schicksalhaft eingetreten sein und gerade nicht auf einem Behandlungsfehler beruhen. (OLG Hamm, Urteil vom 04. November 2016 – 26 U 67/13)

IV. Bundesgerichtshof

Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des OLG Hamm gemäß § 544 Abs. 7 ZPO auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers am 26.09.2017 auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück, da dessen Beurteilung, der Kläger habe einen Behandlungsfehler in Form fehlerhafter Lagerung nicht bewiesen, auf einer Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG beruhe.

1. Was fordert Art. 103 Abs. 1 GG?

Das Berufungsurteil genüge nicht den Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG, der das Gericht verpflichtet, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen, bei ihrer Entscheidung in Erwägung zu ziehen und wesentliche Tatsachenbehauptungen in den Gründen zu verarbeiten. Das Berufungsgericht habe den Kern des Vortrags des Klägers nicht erfasst und wesentliche Ausführungen der Sachverständigen nicht berücksichtigt.

2. Verwirklichung eines voll beherrschbaren Risikos

Ein Behandlungsfehler bestehe nach der Klageschrift in den aufgrund unsachgemäßer Lagerung entstandenen Verbrennungen, da es bei einer von der Beklagten behaupteten Lagerung technisch überhaupt nicht zu Verbrennungen hätte kommen können, was durch die Sachverständigen D und Prof. Dr. W.-J. bestätigt wurde. Infolgedessen scheint naheliegend, dass die Verbrennung des Klägers durch die Lagerung auf einer nicht leitfähigen Oberfläche hätte vermieden werden können, wozu das Berufungsgericht allerdings nichts ausgeführt habe. In diesem Fall wäre das Risiko für die Behandlerseite voll beherrschbar gewesen, sodass sie beweisen müsste, alle erforderlichen organisatorischen und technischen Vorkehrungen zur Vermeidung dieses Risikos ergriffen zu haben.

3. Beweislastumkehr bei Lagerungsschäden

Ein Behandlungsfehler könne auch in einem Lagerungsschaden liegen, allerdings verkenne das Berufungsgericht, dass postoperativ entstandene Lagerungsschäden als voll beherrschbar gelten, sodass sich die Behandlerseite von der Fehlervermutung entlasten müsste, da es sich bei den zur Vermeidung solcher Schäden erforderlichen Maßnahmen um dem Risikobereich des Krankenhauses zurechenbare Faktoren handele.

Bei der Lagerung eines Patienten während der Operation könnten auch Risikofaktoren, die sich etwa aus seiner körperlichen Konstitution ergeben, eingeplant und vermieden werden, weshalb bei einem dennoch eingetretenen Lagerungsschaden die Behandlungsseite dessen Entstehen erklären müsste.

4. Ausnahmefälle

Von diesem Grundsatz könne abgewichen werden, wenn bei dem Patienten eine von den Ärzten im Voraus nicht erkennbare, seltene körperliche Anomalie vorläge, die ihn für den eingetretenen Schaden anfällig gemacht habe, sodass das Risiko für die Behandlungsseite nicht mehr voll beherrschbar wäre.

Das Berufungsgericht erwähne aber nur beherrschbare Risikofaktoren wie die OP-Dauer, das Übergewicht des Patienten oder die Periduralanästhesie, gehe aber nicht weiter darauf ein, ob für den Fall, dass die Schädigung nicht auf einer Verbrennung, sondern auf einer fehlerhaften Lagerung im engeren Sinne beruhe, eine Beweislastumkehr in Betracht käme.

5. Ergebnis

Der Bundesgerichtshof hält die Gehörsverletzung auch für entscheidungserheblich und gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, sich mit allen Einwänden der Nichtzulassungsbeschwerde in der Beschwerdebegründung zu befassen. (Beschluss des VI. Zivilsenats vom 26.9.2017 – VI ZR 529/16)

Erstellt am 08.10.2019

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