Sind Zinsen und Rechtsverfolgungskosten zur Anspruchsdurchsetzung gegen den Deliktsschuldner insolvenzfest?

Nach den allgemeinen Grundsätzen aus § 850c ZPO sind Arbeitseinkommen im Wege der Zwangsvollstreckung nur insoweit pfändbar, wie dem Schuldner ein gesetzlich festgesetzter Mindesbedarf belassen werden muss, um die Kosten seines laufenden Lebensunterhalts zu erfüllen. Das Gesetz geht derzeit von pauschal 930 € monatlich bei Alleinstehenden und und von bis zu 2.60 € monatlich bei bestehenden Unterhaltspflichten aus.

Anders die Situation, wenn der Schuldner eine unerlaubte Handlung begangen hat und Schadensersatz daher z.B. aus einer deliktischen Anspruchsgrundlage (z.B. §§ 823 BGB ff.) zu leisten hat.

In diesen Fällen kann das Vollstreckungsgericht gem. § 850f Abs. 2 ZPO auf Antrag des Gläubigers auch einen geringeren Betrag festsetzen, der dem deliktischen Schuldner als Selbstbehalt noch zu belassen ist.

Streitig war in der Rechtsprechung die Frage, was alles zu den Forderungen zählt, die von § 850f Abs. 2 ZPO privilegiert werden.

  • Einige Gerichte vertraten die (enge) Auffassung, dass dazu nur der reine Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung gehöre, nicht aber auch Zinsen und Prozesskosten, um diesen durchzusetzen.
  • Andere Stimmen in der Rechtsprechung hingegen vertraten eine (weite) Auffassung, wonach auch Zinsen und Prozesskosten von § 850f Abs. 2 ZPO erfasst wären.

Der Bundesgerichtshof (Az. VII ZB 70/08, Urteil vom 10.3.2011) hat diesen Streit entschieden und sich der letzteren Auffassung angeschlossen, denn der Gesetzgeber wollte dem Gläubiger eines Anspruchs aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung eine Vorzugsstellung bei der Zwangsvollstreckung in das Arbeitseinkommen des Schuldners einräumen. Dazu müssten auch Zinsen und Prozesskosten gerechnet werden.

Wer eine unerlaubte Handlung begangen hat und daher Schadensersatz und ggf. auch Schmerzensgeld schuldet, muss somit davon ausgehen, dass das Vollstreckungsgericht den im laufenden Insolvenzverfahren verbleibenden Freibetrag auch unter die gesetzlichen Mindestsätze festlegen kann, auch soweit der geschädigte Gläubiger Zinsen und Ersatz seiner Prozesskosten verlangt. Diese Forderungen sind insgesamt „insolvenzfest“, d.h. selbst nach erfolgreichem Durchlaufen des Insolvenzverfahrens können sie gem. § 302 InsO nicht mit der Restschuldbefreiung getilgt werden, wie der Bundesgerichtshof zuvor bereits im Urteil IX ZR 67/10 vom 18.11.2010 entschieden hatte, da der Schutz der geschädigten Gläubiger ansonsten unvollständig bliebe.

Die Pflicht des Schuldners, entstandenen Schaden wieder gut zu machen, besteht in den Augen des BGH nicht nur hinsichtlich des Schadensersatzanspruches selbst, sondern auch bezüglich der Folgeschäden wie Kostenerstattungsansprüche für die Durchsetzung und Verzugszinsen für verspätete Zahlung, die eng mit der schädigenden Handlung zusammenhängen. Auch sie resultieren letztlich „aus“ der unerlaubten Handlung, sind also Bestandteil des Hauptanspruchs aus unerlaubter Handlung, auch wenn die Anspruchsgrundlage aus Verzug oder prozessualer bzw. materieller Kostenerstattung folgt.

Dies folgt aus dem Grundgedanken des gesetzgeberischen Anliegens, dass der Schuldner für vorsätzlich begangene unerlaubte Handlungen bis zur Grenze seiner Leistungsfähigkeit einzustehen habe. Der deliktische Schuldner soll somit den gesamten entstandenen Schaden mit allen erforderlichen Anstrengung ersetzen. Es ist kein Grund ersichtlich, dem Schuldner durch einschränkende Auslegung des § 850f Abs. 2 ZPO einen Schutz angedeihen zu lassen, so der Bundesgerichtshof, den er nicht verdiene.

Erstellt am 22.12.2018

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