Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren
Einstweiliger Rechtsschutz, d.h. der Erlass einer einstweiligen Verfügung oder eines persönlichen/dinglichen Arrests, kann sowohl im Urteilsverfahren wie auch im Beschlussverfahren vor den Arbeitsgerichten in Anspruch genommen werden. Solche Eilverfahren sind sinnvoll, wenn das Abwarten einer Hauptsacheentscheidung zu spät käme (z.B. Gewährung von Urlaub). Sie dienen der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG.
§ 62 Abs.2 S. 1 ArbGG (Urteilsverfahren) und § 85 Abs. 2 ArbGG (Beschlussverfahren) verweisen hierfür auf das 8. Buch der Zivilprozessordnung. Dort ist der einstweilige Rechtsschutz in den §§ 916 – 945 ZPO geregelt.
Eine Revision oder Rechtsbeschwerde findet im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vor den Arbeitsgerichten nicht statt, d.h. das Verfahren ist auf zwei Instanzen beschränkt und endet vor den Landesarbeitsgerichten.
Bei der einstweiligen Verfügung wird unterschieden zwischen der Sicherungsverfügung und der Regelungsverfügung. In den im Arbeitsrecht relevanten Konstellationen wird auch eine Leistungs- oder Befriedigungsverfügung anerkannt, die zwar gesetzlich nicht geregelt, jedoch analog zu § 940 ZPO anerkannt ist. Sie führt ihrer Idee nach zwar nur zu einer einstweiligen, u.U. jedoch auch endgültigen Befriedigung des streitigen Anspruchs (Vorwegnahme der Hauptsache).
Voraussetzung einer erfolgreichen einstweiligen Verfügung ist stets das Bestehen eines Verfügungsanspruchs (zu sichernder materiell-rechtliches Anspruch, der fällig und durchsetzbar ist) und eines Verfügungsgrundes (Eilbedürftigkeit, d.h. einen den vorläufigen Rechtsschutz erfordernden Grund). Dieser kann sich sowohl aus der Sicherung eines bestehenden status quo ergeben (Schutz vor Veränderungen, die eine Rechtsverwirklichung in der Hauptsache gefährden würden), wie gerade auch aus der Notwendigkeit zu einer Änderung, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache zu spät erfolgen würde.
Für die Eilbedürftigkeit bedarf es einer objektiven Besorgnis, dass durch die Veränderung eines bestehenden Zustandes die Rechtsverwirklichung in Zukunft vereitelt oder wesentlich erschwert wird.
Zu beachten ist dabei, dass der Antragsteller nicht von sich aus zu lange zuwarten darf und quasi erst „last minute“ das Arbeitsgericht anruft. Wenn er in Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände das Arbeitsgericht nicht zeitnah anruft und seinen Anspruch durchzusetzen versucht, widerlegt er die erforderliche Dringlichkeit (§ 940 ZPO) hierdurch selber.
Zuständig für jede Form von Eilverfahren ist auch im Arbeitsrecht das Gericht der Hauptsache, d.h. das örtliche Arbeitsgericht, welches auch in einem Klage- oder Beschlussverfahren zu entscheiden hätte.
Nach Einreichung der Antragsschrift ist diese dem Antragsgegner zuzustellen (§ 270 ZPO). Die Ladungsfrist zum Termin beträgt mindestens drei Tage (§ 217 ZPO), vor dem Landesarbeitsgericht mindestens eine Woche (da es sich hierbei um einen sog. Anwaltsprozess handelt). Auf Antrag, bei besonderer Eilbedürftigkeit, kann diese Frist jeweils auch abgekürzt werden. Es besteht bei besonderer Dringlichkeit auch die Möglichkeit, dass die Arbeitsgerichte ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 937 Abs. 2 ZPO).
Anders als im Klageverfahren ist das Gericht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht an die Anträge des Antragsstellers gebunden, sondern bestimmt gem. § 938 Abs. 1 ZPO nach „freiem Ermessen“, welche Anordnung zur Erreichung des Zwecks erforderlich ist.
Eine Zurückweisung verspäteten Vortrages (Präklusion) findet im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht statt, d.h. das Arbeitsgericht hat sämtlichen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorgetragenen schriftlichen und/oder mündlichen Sachvortrag noch zu berücksichtigen.
Soweit sich der materiell-rechtliche Anspruch, der mit dem einstweiligen Rechtsschutzantrag verfolgt wird, nicht aus dem BGB ergibt (dort geregelt in § 204 Abs.1 Nr. 9 BGB), findet durch die Einreichung und zeitnahe Zustellung der Antragsschrift im arbeitsgerichtlichen Verfahren keine Unterbrechung von Verjährungs- oder Ausschlussfristen statt.
Die vom Arbeitsgericht erlassene Verfügung ist dem Gegner im sog. Parteienbetrieb zuzustellen (§§ 922 Abs.2, 936 ZPO).
Die Antragsschrift muss den Verfügungsanspruch und den Verfügungsgrund glaubhaft machen (§ 294 ZPO), z.B. durch eine Versicherung an Eides statt, durch Urkunden oder präsente Zeugen. Es finden in diesen Verfahren jedoch nur Beweisaufnahmen statt, die sofort erfolgen können.
Wird dem Antrag seitens des Arbeitsgerichts nicht entsprochen, so sind dagegen Rechtsmittel zum Landesarbeitsgericht möglich:
- Bei Zurückweisung durch Beschluss: sofortige Beschwerde (§ 567 Abs.1 ZPO)
- Bei Zurückweisung durch Urteil: Berufung
Gibt das Arbeitsgericht dem Antrag hingegen statt, stehen dagegen auch dem Antragsgegner Rechtsmittel zur Verfügung:
- Ist die einstweilige Verfügung ohne mündliche Verhandlung ergangen, ist hiergegen der Widerspruch zulässig (§§ 924 Abs.1, 936 ZPO).
- Gegen ein stattgebendes Urteil findet die Berufung zum Landesarbeitsgericht statt.
- Ändern sich nachträglich die Umstände, auf die sich die gerichtliche Verfügung gestützt hast, kann der Aufhebung beantragt werden (§ 927 ZPO).
- Möglich ist auch der Antrag auf Durchführung des Hauptsacheverfahrens, um den nur vorläufig geregelten Zustand endgültig entscheiden zu lassen (§ 926 ZPO).
Wird später entschieden, dass die einstweilige Verfügung zu Unrecht erging, steht dem Antragsgegner insoweit ein Schadensersatzanspruch gegen den Antragsteller zu (Vollziehungsschadensersatzanspruch).
Praxisrelevante Beispiele für einstweilige Verfügungen im Urteilsverfahren sind:
- Weiterbeschäftigungsanspruch
- Einfacher Beschäftigungsanspruch
- Unterlassen von Konkurrenztätigkeit / Wettbewerb
- Versetzung
- Arbeitszeitreduzierung
- Zeugnis
- Zahlungsansprüche
- Herausgabe von Arbeitspapieren
- Streikmaßnahmen
Praxisrelevante Beispiele für einstweilige Verfügungen im Beschlussverfahren sind:
- Teilnahme an Schulungsmaßnahmen für den Betriebsrat
- Abbruch von Betriebsratswahlen
- Spruch einer Einigungsstelle
- Unterlassungsanspruch bei der Verletzung von Mittbestimmungsrechten
- Unterlassung einer Betriebsänderung
Erstellt am 25.10.2017
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